Weil es finanziell sinnvoll ist, weitere 15 – 20% der Bevölkerung zu erreichen
Laut UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist der Zugang zu Informationen ein Menschenrecht. Seit 2009 gelten die Konventionen der UN-BRK auch in Deutschland. Die Umsetzung der UN-BRK in Deutschland ist im „Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen“ sowie in der in dieses Gesetz eingebetteten Verordnung „Barrierefreie Informationstechnik“ (BITV) verankert. Die BITV verpflichtet Unternehmen der öffentlichen Verwaltung, deren Websites in Intranets und Extranets sowie mobile Anwendungen und Prozesse barrierefrei zu gestalten.
Die barrierefreie Gestaltung muss den „Web Content Accessibility Guidelines“ (externer Link) des World Wide Web Consortiums (W3C) folgen.
Europaweit erweitert der „European Accessibility Act“ (externer Link) die Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen auch auf privatwirtschaftliche Unternehmen.
Diese Verpflichtung wird allerdings auf die Bereiche „Telekommunikation“, „Medien“, „Bankdienstleistungen“ und „Beförderungsdienste“ beschränkt, gilt dort aber nicht nur für Websites und mobile Anwendungen.
Generelle Vorteile für Unternehmen
- freier Verkehr von barrierefreien Produkten und Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt
- Stärkung des Wettbewerbs innerhalb der EU
- Anregung von Innovationen durch einen besseren Austausch über Landesgrenzen hinweg
- Erhöhung von Wachstumspotenzialen
Für Nutzerinnen und Nutzer erwartet die EU durch die europaweite Umsetzung des EAA:
- Erhöhung der Anzahl barrierefreier Produkte und Dienstleistungen innerhalb der EU
- Ermöglichung grenzüberschreitender Mobilität durch Schaffung eines einheitlichen Markts für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen
- Schaffung eines grenzüberschreitenden barrierefreien Webzugangs
Ökonomische Vorteile durch die Accessibility von Produkten und Dienstleistungen
Abgesehen von der externen Verpflichtung für privatwirtschaftliche Unternehmen innerhalb der EU bietet die Erhöhung der Accessibility auch intern Vorteile für Unternehmen, speziell im Bereich der Ökonomie: Die ökonomischen Vorteile von Accessibility sind enorm und umfassen Unternehmensbereiche wie:
- Produktentwicklung
- Produktpflege
- Produktvermarktung und
- Marken-Image
Umsetzung von Accessibility-Richtlinien
Das möglichst frühzeitige Implementieren von Features zur Gewährleistung von Accessibility eines Software-Produkts spart gegenüber einer späten Implementierung dieser Features für ein bestehendes Produkt viele Ressourcen. Aufgrund des hohen Bedarfs an Änderungen eines bestehenden Software-Produkts zum Zweck der Erhöhung seiner Accessibility kann dieser Prozess enorm zeitaufwändig sein.
Die vielen Arbeitsstunden, die hierfür nötig sein können, sorgen für Kosten, die bis zu dem 100-fachen der Kosten für eine frühe Implementierung betragen können.
Sich erst spät mit der Accessibility eines Software-Produkts zu beschäftigen, kann sogar dazu führen, dass dessen Neuentwicklung günstiger ist als seine Umgestaltung.
Dagegen sorgt eine schlanke Programmierung für kürzere Ladezeiten und für geringere Entwicklungskosten. Accessibility bietet Inhalte, die gut verständlich sind und ermöglicht eine leichte Benutzung. Unternehmen, die Wert auf Accessibility legen, sparen nicht nur Geld, sie erreichen auch mehr und zufriedenere Kunden. Benefits der Accessibility umfassen nicht nur die Lesbarkeit von Inhalt, sondern auch die angepassten Eingabemethoden und Eingabemodalitäten von Software-Produkten.
Wartung und Weiterentwicklung eines Software-Produkts
Die WCAG verlangen eine strikte Trennung von Inhalt und Layout der Benutzungsoberfläche eines Software-Produkts. Hierdurch ist die Wartung und Erweiterung des UIs weniger zeitaufwendig und daher deutlich günstiger.
Mit einer entsprechend klareren Architektur können Inhalte von Modulen ohne Auswirkungen auf andere Module geändert werden.
Außerdem kann die Positionierung von Elementen deutlich einfacher erfolgen. Auch die Gestaltung von Elementen wird nicht nur einfacher, sondern lässt sich auch gezielter ändern und erfordert keine Anpassungen von Designs innerhalb mehrerer HTML-Dateien. Außerdem kann dieselbe Nutzungsschnittstelle von allen Nutzern verwendet werden. Verschiedene, parallel zu wartende Varianten der Nutzungsschnittstelle für Nutzer mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen müssen und dürfen gemäß WCAG nicht entwickelt werden. Neben der Modularisierbarkeit erhöht Accessibility der Software ihre Kapazität und Performanz und verringert ihren Speicherbedarf sowie das Risiko, dass unterschiedliche Nutzergruppen unterschiedliche Inhalte und Funktionen angeboten bekommen. Die Wartung von Software wird damit deutlich einfacher und ist seltener durchzuführen. Die Entwicklungszeit für eine Überarbeitung sinkt deutlich und spart hohe Kosten ein.
Geringere Kosten für Kundensupport
Die Accessibility eines Software-Angebots erleichtert dessen Nutzung beispielsweise durch eine intuitive Navigation, deutliche Beschreibungen und konsistente Beschriftungen und Aktionen. Hierdurch ergibt sich eine klare, aufgeräumte Nutzungsoberfläche mit einer für die Nutzenden effizienten Zielerreichung und einer hohen Gebrauchstauglichkeit. Der Bedarf nach Support sinkt damit deutlich, was Kosten einspart und die Kundenloyalität erhöhen kann.
Vergrößerung des Kundenkreises
Allein in Deutschland leben etwa 7,8 Mio. Menschen mit sensorischen, motorischen oder kognitiven Beeinträchtigungen, was 9,4 % der deutschen Bevölkerung entspricht. Weltweit leben schätzungsweise etwa 1 Mrd. Menschen mit anerkannten Behinderungen. Unter Hinzunahme von Menschen mit altersbedingten Beeinträchtigungen sind es ca. 2,3 Mrd. Ihr verfügbares Vermögen wird auf 6,9 Bio. Dollar geschätzt. Accessibility unterstützt neben diesen potenziellen Nutzer:innen auch Menschen mit temporären Beeinträchtigungen und mit situativen Beeinträchtigungen. Dazu gehören beispielsweise auch Nicht-Muttersprachler, Menschen mit geringer Lesekompetenz und Menschen mit Konzentrationsschwäche, müde oder gestresste Menschen, abgelenkte und unkonzentrierte Menschen.
Accessibility erlaubt es diesen Menschen, mit Software-Produkten zu interagieren und erweitert den Kundenkreis von Software-Produkten. Unternehmen adressieren eine erweiterte Kaufkraft und erhöhen ihr Potenzial für eine Steigerung des Marktanteils ihrer Produkte.
Vorteile im Einzelhandel
Laut einer Studie von Williams und Brownlow haben allein britische Einzelhändler im Jahr 2019 schätzungsweise 17,1 Milliarden Pfund verloren, weil es Menschen mit Beeinträchtigungen nicht möglich war, Produkte auf den Websites dieser Einzelhändler zu kaufen [Williams & Brownlow, 2020]. Diesen Mangel zu beseitigen kostet den Einzelhandel weniger als gedacht und bringt deutlich höheren Profit als erwartet. Die britische Supermarktkette Tesco konnte beispielsweise zeigen, dass Kosten von 35.000 GBP für die Entwicklung einer barrierefreien Website zu einem zusätzlichen Jahreseinkommen von 13 Mio. GBP führten.
Bessere Unterstützung unterschiedlicher Interaktionsgeräte
Durch die Accessibility von Nutzungsoberflächen muss auch auf die Anpassbarkeit und die korrekte Darstellung auf allen Displays geachtet werden. Nutzende haben nicht nur die Wahl, mit welchem Endgerät sie Angebote von Unternehmen nutzen, sondern Unternehmen erreichen auch potentielle Kunden, die lediglich kleine, langsame, leistungsschwache, nicht internetfähige Geräte nutzen.
Nachhaltiges Marken-Image
Mit Accessibility verdeutlicht ein Unternehmen, dass ihm seine Nutzerinnen und Nutzer ohne Einschränkung wichtig sind und dass es soziale und ethische Verantwortung übernimmt. Die kanadische Rick Hansen Foundation zum Beispiel hat 2018 Ergebnisse einer Befragung vorgestellt, bei der es um die positiven Auswirkungen von zugänglichen Arbeitsplätzen beeinträchtigter Menschen für Kanadas Wirtschaft geht. In Kanada haben 2,9 Mio. Menschen physische Beeinträchtigungen, die das Sehen, Hören oder Bewegen betreffen. Die Anzahl der betroffenen Personen steigt jährlich um 1,8 % und wird im Jahr 2030 Schätzungen zufolge 3,6 Mio. betragen. Insgesamt betrug das verfügbare Gesamtvermögen beeinträchtigter Personen in Kanada 2017 $165 Mrd. Schätzungen gehen von einem Anstieg auf $316 Mrd. bis 2030 aus. Von aktuell 14 % des gesamten kanadischen Konsumentenmarkts wird der Anteil der Gruppe der physisch beeinträchtigten Personen von 14 % im Jahr 2017 auf 21 % bis 2030 anwachsen. Mit Arbeitsplätzen, die es auch Menschen mit Beeinträchtigungen erlaubt, an dem Arbeitsleben zu partizipieren, würde sich das Bruttoinlandsprodukt von Kanada bis 2030 um $16,8 Mrd. erhöhen.
Quellen
Williams, R. und Brownlow, S., 2020: „The Click-Away Pound Report 2019 - Revisiting the online shopping experience of customers with disabilities, and the cost to business of ignoring them“. Freeney Williams Limited, Brighton, UK.